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Brüche (Frakturen) des Schultergürtels
 
Publikation 2 - Teil 1 Versorgung der Mehrfragment - Fraktur  
Biologisches, weichteilorientiertes Therapiekonzept zur Behandlung der Mehrfragmentfrakturen des proximalen Humerus

Zusammenfassung

Die Behandlung von 3- und 4- part Frakturen des proximalen Humerus ist eine grosse Herausforderung für jeden Unfallchirurgen. Probleme und Unsicherheiten bestehen in der richtigen Wahl des Operationsverfahrens und des Operationszeitpunktes.

Wir möchten ein weichteilorientiertes, funktionelles Konzept in der Behandlung von 3-part und 4- part Frakturen vorstellen.

Von 1989 bis 1996 behandelten wir 38 Patienten mit diesem Konzept. Nach der Reposition und einer Ruhigstellung während 3 Wochen erfolgte die Operation. Durch einen deltoideo- pektoralen Zugang wurden diejenigen Tuberkula gelöst, die eine impingmentfreie Funktion der Gelenk- Rotatorenmanschetten Einheit verunmöglichten. Mit kanülierten Schrauben und evt. Mitek Anchors? wurden sie neu positioniert, ebenfalls subakromiale Verklebungen gelöst und bei Bedarf eine Akromioplastik oder Aufrichteosteotomie durchgeführt. Die physiotherapeutische Nachbehandlung begann am 1. postoperativen Tag.

Mit dieser Technik erreichten wir sehr gute funktionelle Resultate (Constant score 82.5 Punkte). Nach einer Beobachtungszeit von 26.6 (4 - 79) Monaten verzeichneten wir 2 Kopfnekrosen (=5.4.%).
Das Ziel unserer Methode ist die frühe, impingmentfeie, vollständige Funktion der Gelenk-Rotatorenmanschetten Einheit.

Schlüsselwörter: Frakturbehandlung - proximaler Humerus- Weichteile

Zusammenfassung Englisch

A new soft tissue related functional concept for treatment of 3- and 4 part fractures of the proximal humerus.

Three- and four part fractures are very challenging for every surgeon to operate on. There are many different problems concerning the right technique and the right time of operation. There is also a great uncertainty what kind of internal fixation device should be used. We like to introduce a new soft tissue related and functional concept in the treatment of these fractures.

From 1989 until 1996 we treated 38 patients with 6 three-, 11 four part and 21 comminuted fractures using our new two step method. After closed reduction was performed, we first bandaged the arm lightly against the body for three weeks using the orthogiletä. The purpose is, that after this time the different parts of the fracture are somewhat glued together by soft tissue.

As second step we performed the operation. Using a small deltoideo- pectoral approach we mobilized only the tuberosities, which prevented a tension and impingement free function of the joint and rotator cuff unit. We reattached them with 4.5 mm cannulated screws and in some occasions with Mitekä Anchors in the accurate position. The rest of the fracture parts we left in place. At the end of the operation we removed all the surrounding soft tissue attachments to free the rotator cuff and to regain a good range of motion. Physiotherapy started on the first day postoperatively. For the passive exercises we used the Kinetecä Chair.

The average follow up was 26.6 months (4 to 79). We achieved excellent functional results. The average Constant score was 85.2 pt. Two patients developed a avascular necrosis (= 5.4%).

The goal of our new method is to achieve an early and impingement free, fully functioning joint and rotator cuff unit.

key words: Fracture- treatment- proximal humerus- soft tissue
Einleitung

Die proximalen Humerusfrakturen gehören mit 3-5% aller Frakturen zu den häufigsten Knochenbrüchen überhaupt. Mit der Überalterung der Bevölkerung gewinnen diese Frakturen auch zunehmend an Bedeutung. 80% der proximalen Humerusfrakturen sind wenig bis nicht disloziert, und sind so eine Domäne der konservativen Behandlung mit meist guten funktionellen Resultaten. Die restlichen 20 % stellen aber eine hohe Herausforderung an den Chirurgen dar. Meistens handelt es sich um Frakturen Grad III und IV nach der Neer Klassifikation, also um Mehrfragmentfrakturen mit häufig dislozierten Fragmenten, Kopfnekrosegefahr und Begleitverletzung des Weichteilmantels. Auch vorbestehende Schulterleiden bei diesem meist älteren Patientenkollektiv müssen für die Versorgung in Betracht gezogen werden. Dementsprechend ergeben sich vielerlei Probleme bezüglich der richtigen Wahl der Operationsmethode, der Wahl der Implantate, der geeigneten Nachbehandlung und vor allem des Operationszeitpunktes. Häufig besteht in der Behandlung dieser schwierigen Verletzung eine Konzeptlosigkeit. Nicht selten erreicht man zwar ein gutes anatomisches Resultat mit aber schlechter Funktion.

Wir möchten ein zweizeitiges, weichteilorientiertes Behandlungskonzept vorstellen, welches nach unseren Resultaten zu einer impingement- und schmerzfrei funktionierenden Schulter verhelfen kann.

Methode

Sämtliche subkapitalen Humerusmehrfragmentfrakturen wurden nach der Neer- Klassifikation [7] eingeteilt. Hierzu verwendeten wir die konventionellen Röntgenaufnahmen im ap- und axialen Strahlengang. CT- Untersuchungen wurden nicht routinemässig durchgeführt. Die Studie wurde unselektioniert prospektiv angelegt. Dislokationen von mehr als 1 cm und Achsenfehlstellungen des Kopfes von über 45owaren entscheidend für den Schweregrad der Fraktur. Soweit als möglich wurden die Frakturen unmittelbar nach dem Unfall geschlossen reponiert, und mittels Gilchristverband oder Anlegen eines Orthogiletsä für 3 Wochen ruhiggestellt. Angestrebt wurde eine bindegewebige und beginnend knöcherne Verklebung der einzelnen Frakturanteile und damit die Erhaltung der Perfusion der Kopffragmente.

Nach dieser Ruhigstellungszeit wurde frühsekundär die Operation durchgeführt. Jene dislozierten Tuberkula und Knochenfragmente, welche eine impingementfreie Bewegung der Schulter verhinderten, wurden gelöst, reponiert und mittels Minimalosteosynthese refixiert. Ebenfalls wurden Verklebungen im Subakromialraum gelöst, so daß unmittelbar postoperativ mit der funktionellen Nachbehandlung begonnen werden konnte. Unter Umständen wurde bei engem Subakromialraum eine Akromioplastik oder in neuerer Zeit eine Aufrichteosteotomie des Akromions angeschlossen. Als Implantate verwendeten wir meistens die 4,5 mm kanülierten Schrauben mit Unterlagsscheiben und Mitek? Anchors. Postoperativ erfolgte die Fixation in einem Orthogiletä.

Four part fracture mit dislozierten Fragmenten Four part fracture mit dislozierten Fragmenten

Beginnende knöcherne Konsolidation nach 3-4 Wochen Ruhigstellung in Orthogilet?
Offene Lösung und weichteilorientierte Reposition der Tuberkula und Fixation mit kanülierten Schrauben.
Ziel der Operation ist nicht ausschließlich die Wiederherstellung der möglichst genauen knöchernen Anatomie des proximalen Humerus, sondern die Wiedererlangung der schmerzfreien Funktion der Schulter. Darunter verstehen wir die ungehinderte, d.h. impingementfreie, postoperative Funktion der Kopf-Rotatorenmanschetten-Einheit.

Ab dem 1. postoperativen Tag durften die Patienten Pendelübungen durchführen. Ebenfalls erfolgte täglich eine passive physiotherapeutische Nachbehandlung mittels Kinetecä- Bewegungsschiene mit folgendem Bewegungsumfang: Abduktion / Adduktion 90-0-0, Innenrotation / Aussenrotation 40-0-40. Ab der 4. postoperativen Wochen wurde mit isometrischen Übungen mit flektiertem Ellbogen begonnen. Ab der 6. postoperativen Woche waren Bewegungsübungen oberhalb der Horizontalebene und isotonische Bewegungsübungen erlaubt.

Alle Patienten wurden klinisch und radiologisch 4-6 wöchentlich nachkontrolliert. Alle Kontrollen wurden durch die Autoren durchgeführt und die Resultate nach dem Constant -Score [2] ermittelt. Aus Gründen der Praktikabilität und der schwierigeren Beurteilung haben wir die Kraft nur qualitativ erfaßt und deshalb von der Schlussbewertung ausgeschlossen. Dies ergab einen modifizierten Constant -Score mit maximal 75 Punkten.

Patienten und Resultate

Von 1989-1996 haben wir insgesamt 38 Patienten (26 Frauen, 12 Männer) mit Grad III, IV und Grad IV- Frakturen mit Trümmerzonen (Abb. 1) nach unserem Verfahren am Kreisspital Rüti operiert und nachbehandelt. Das Durchschnittsalter betrug 62.9 š15.2 Jahre (25-87 Jahre). Die Frauen waren im Durchschnitt fast 18 Jahre älter als die Männer. Die Altersverteilung der beiden Geschlechter widerspiegelt dies (Abb. 2). Ebenfalls kommt dieser Unterschied in der Unfallart zum Ausdruck. Bei den Männern standen Sportunfälle im Vordergrund, im Gegensatz zu den Frauen, wo Gehstürze die Hauptursache waren (Abb. 3). Insgesamt waren 21 Mal die dominante und 17 Mal die nichtdominante Seite betroffen.
Frakturtypen

Frakturtypen
Altersverteilung der Geschlechter
Altersverteilung der Geschlechter
Unfallursache und Geschlecht
Unfallursache und Geschlecht
Die initiale Behandlung mit Reposition und Ruhigstellung erfolgte meist ambulant. Die postoperative Hospitalisationsdauer betrug bei den Frauen 15.8š10.6 Tage und bei den Männern 6.7š1.3 Tage. Die tieferen Durchschnittswerte sind sicher durch das jüngere Alterskollektiv der Männer mit all seinen günstigeren Nebenerscheinungen (häufig sozial nicht alleinstehend, kleinere Grundmorbidität etc.) bedingt.

Die Behandlung konnte im Schnitt nach 9.5 Monaten (4-41 Monate) abgeschlossen werden.

Die Nachkontrollen konnten bei 37 Patienten nach einer Follow up Zeit von durchschnittlich 26.6 Monaten (4 - 79) durchgeführt werden. Eine Patientin verstarb in der Zwischenzeit altershalber. Die Ergebnisse nach dem modifizierten Constant Score anläßlich der Nachkontrolle sind aus Tab. 1 ersichtlich. Arthrosen konnten wir in dieser Periode keine feststellen. Rotationsfehlstellungen, die dieser Methode eigen sind, zeigten keine klinische Relevanz bezüglich subjektivem Outcome.

Frakturart Constant Score (Punkte) modifizierter Constant Score
  Frauen Männer Total Frauen Männer Total
3-Part 87.5 86.5 87.2 74.5 73.5 74.1
4-Part 81.1 87.7 83.1 66.4 73.7 68.6
Mehrfragment 84.2 88.4 85.7 67.4 70.9 68.6
Total 83.8 87.9 85.2 68.3 72.0 69.5

Tab. 1: Resultate anlässlich Nachkontrolle (modifizierter Constant Score max. 75 Punkte).
Als Komplikationen entwickelte sich bis jetzt bei 2 Patienten ( = 5.4%) eine Kopfnekrose, welche 17 und 30 Monate nach der ersten Operation eine Kopfprothese notwendig machte. Beide Nekrosen traten bei Grad- IV- Frakturen auf. Wir sind uns bewusst, dass mit längerer Beobachtungsdauer die Nekroserate noch ansteigen kann. Weiter mußte einmal bei einer retraktiven Kapsulitis eine Narkosemobilisation durchgeführt werden. Bei 12 Patienten wurde z. T. auf Wunsch des Patienten, z. T. bei störendem Osteosynthesematerial eine Osteosynthesematerialentfernung durchgeführt. Ein posttraumatisches Impingementsyndrom infolge Exostosenbildung trat bei 2 Patienten auf. Dies wurde jeweils in einer Reoperation behoben.

Beispiele

Patient 1
Unfallbild Patient 1
Unfallbild
4 Wochen posttraumatisch: Offene Reposition des Tuberkulum und Fixation mit Schraube. Patient 1
4 Wochen posttraumatisch: Offene Reposition des Tuberkulum und Fixation mit Schraube.

Nach Abheilung, 6 Mte post.op. anlässlich Schlusskontrolle
Patient 1
Nach Abheilung, 6 Mte post.op. anlässlich Schlusskontrolle